„Gelegentlich sind diese Trends verhängnisvoll“

Prof. Hans Mathias Kepplinger gilt als einer der bedeutendsten Kommunikationswissenschaftler Deutschlands. Am Mainzer Institut für Publizistik hat er in jahrzehntelanger Tätigkeit die Funktionsweise der modernen Medien empirisch erforscht. Im FaireMedien-Experteninterview erklärt er die Macht der Medien, ihre Ursachen und Folgen und die Chancen seriöser Medienkritik im Internet.

Fairemedien.de: Wie die „Mechanismen der Skandalisierung“ im Medienbetrieb wirken, haben Sie in Ihrem gleichnamigen Sachbuch eingehend und kritisch analysiert. Das Buch hat mehrere Neuauflagen erlebt. Was hat sich seit dem ersten Erscheinen verändert, gebessert oder verschlechtert. Was hat das Buch bewirkt?

Hans Mathias Kepplinger: Ich erfahre von vielen von Skandalen Betroffenen, dass sie das Buch mit großer Aufmerksamkeit und großem Gewinn lesen. Gerade wenn sie es in der akuten Phase einer Skandalisierung lesen, hilft es ihnen, weil sie in dem Chaos, das um sie ausgebrochen ist, einen Halt finden. Susanne Gaschke hat das in einem Interview und in ihrem Buch gut beschrieben.

Seit dem ersten Erscheinen im Jahr 2001 hat sich mit dem Internet ein bedeutender neuer Faktor entwickelt. Es gibt aber ganz wenige Fälle, bei denen das Internet alleine eine Skandalisierung bewirkt hat. Skandalisierungen im Internet sind in der Regel nur erfolgreich, wenn die traditionellen Medien das aufgreifen. Die Reichweite der Internetplattformen alleine ist dazu viel zu dürftig. Sie erreichen, wenn es hochkommt, vielleicht zehntausend, vielleicht auch einmal hunderttausend Leute. Die Bildzeitung erreicht neun Millionen. Und die Fernsehnachrichten erreichen genauso viele und die Regionalpresse insgesamt weit mehr. Hier geraten die Maßstäbe bei einigen Beobachtern durcheinander, weil sie sich die Reichweite und die Durchschlagskraft der traditionellen Medien im Unterschied zum Internet nicht klarmachen.

Das Internet hat allerdings durchaus etwas geändert. Erstens steigt das Risiko für Personen, die skandalisierbar sind, weil aus dem Internet heraus einfach mehr Versuche in diese Richtung erfolgen. Diese bleiben erfolglos, solange die etablierten Medien nicht einsteigen. Zweitens steigen auch die Chancen des Entgegenwirkens bei Skandalisierung. Ein gutes Beispiel dafür ist das Verhalten der Firma Wiesenhof, die das Internet benutzt, um permanent Fakten zu publizieren. Auch die Firma Böhringer-Ingelheim ist bei Versuchen zur Skandalisierung des Medikaments Pradaxa mit eigenen Daten im Internet und an anderen Stellen in die Öffentlichkeit gegangen. Das Internet gibt den Betroffenen eine Chance, Kommunikationsblockaden zu durchbrechen, die sonst sehr schnell entstehen. Drittens hat das Internet auch die Risiken der Angreifer erhöht, der Wortführer im Skandal, denn die Betroffenen sind heute viel besser in der Lage, die Wortführer mit Fakten ins Unrecht zu setzen.

Fairemedien.de: Im Internet haben sich viele medienkritische Formate etabliert, zu nennen sind da etwa die vielen Medienwatchblogs oder auch Publikumszusammenschlüsse wie die „Ständige Publikumskonferenz der öffentlich-rechtlichen Medien“. Sehen Sie darin einen zukunftsfähigen Weg, Skandalisierungen entgegenzuwirken?

Hans Mathias Kepplinger: Auf jeden Fall. Das ist etwas völlig Neues und geht weit über das Problem der Skandale hinaus. Bisher hatten Journalisten fast immer das letzte Wort. Die Menschen haben zwar immer über die Medien geklagt. Die Journalisten hat das aber in der Regel nicht erreicht und die Öffentlichkeit im weiteren Sinn schon gar nicht. Seit das Internet die Möglichkeit bietet, diese Urteile in die Öffentlichkeit zu tragen, sind viele Journalisten geradezu außer sich, und zwar zum Teil zu Recht. Denn viele dieser Urteile über Journalisten sind völlig an den Haaren herbeigezogen, unflätig und jenseits dessen, was man sinnvollerweise diskutieren kann. Das Internet bietet aber die Chance zu sachlichen, korrekten und nachdenkenswerten Analysen, und die gibt es und die Zahl und Bedeutung dieser kritischen Stellungnahmen wird wachsen.

Fairemedien.de: Wie müssten diese medienkritischen Wortmeldungen im Internet aussehen, um erfolgreich zu sein?

Hans Mathias Kepplinger: Man sollte Polemiken vermeiden, unflätige Ausdrücke vermeiden, Beleidigungen vermeiden. Alles das minimiert die Bedeutung von Wortmeldungen im Internet. Das mag für denjenigen, der so etwas aus sich herausstößt, eine gewisse Befriedigung vermitteln. Aber der Effekt ist nahe Null, weil kein vernünftiger Mensch das aufgreifen kann und die betroffenen Journalisten sich zu Recht nur darüber ärgern statt Mängel zu bedenken.

Ganz wichtig ist, dass Medienkritik im Internet bestimmten Standards folgt und das betrifft sowohl die Qualität der Information wie auch der Argumentation und der Ausdrucksweise. Die Fakten müssen stimmen. Urteile müssen abgewogen, rational und nachvollziehbar sein.

Fairemedien.de: Warum sind Skandalisierungen eigentlich kein Gegenstand von Rügen oder Hinweisen des Presserates, dessen Pressekodex als verbindliches ethisches Rahmenwerk für die deutsche Presselandschaft gilt. Hat der Pressekodex hier einen blinden Fleck?

Hans Mathias Kepplinger: Ich würde nicht sagen „blinder Fleck“. Das Kernproblem bei Skandalen sind zwei Dinge.

Das eine ist die Schemabildung. Am Anfang eines Skandals wird eine ganz bestimmte Sichtweise etabliert, die alles Folgende prägt. Im Fall Christian Wulff war dies z.B. die Verbindung von Geld (Kredit) und Charakter (Glaubwürdigkeit), die erst Thorsten Denkler auf süddeutsche.de und einige Tage später Frank Schirrmacher in der FAZ etabliert haben. Im Fall Tebartz-van Elst gab es mehrere Anläufe zur Skandalisierung, die ohne Resonanz blieben. Der Durchbruch gelang anhand der Kosten des Bauprojektes in Limburg, genau genommen seine geschickte Verengung auf den Bau der Bischofswohnung. Das Thema Geld und geldwerter Vorteil ist in Deutschland eigentlich immer gut für einen Skandal. Diese Schemabildung ist durch die Meinungsfreiheit geschützt. Da kann und darf der Pressekodex nicht eingreifen. Es handelt sich um eine Meinung, die man für richtig oder falsch halten kann, aber hinnehmen muss.

Das zweite Problem ist die Menge der Beiträge. Skandale werden durch eine kaum fassbare Menge an Medienberichten etabliert und am Leben erhalten. Gelegentlich sind es im Verlauf eines Skandals in einzelnen Zeitungen 100 bis 200 Beiträge und mehr. Die meisten Menschen lesen aber nicht nur Zeitungen. Sie hören Radio, sehen Fernsehnachrichten und werden so an manchen Tagen mit zahllosen, im Tenor ähnlichen Beiträgen konfrontiert. Zusammen besitzen sie ein enormes Wirkungspotential. Dabei hat man oft den Eindruck, dass alle diese Beiträge Anklagen enthalten. Das ist aber falsch. In der Regel sind nur 20 bis 30% durchgängig anklagend. Der Rest der Beiträge enthält keine direkten Anklagen, ruft aber die Vorwürfe immer wieder in Erinnerung und treibt so die Skandalisierung voran. Die Masse der Beiträge kann man aus guten Gründen mit dem Pressekodex nicht einschränken. Auch damit muss man in einer freien Gesellschaft leben.

Fairemedien.de: Ziffer 1 des Pressekodex verpflichtet die Medien zur Wahrhaftigkeit. Ist denn eine wahrhaftige Unterrichtung noch gegeben, wenn andere Sichtweisen auf das gleiche Phänomen bei Skandalen dann so unterbelichtet sind? Kann man dann noch von einer objektiven und ausgewogenen Berichterstattung sprechen?

Hans Mathias Kepplinger: Wahrhaftigkeit meint im Grunde nur, dass diejenigen, die ihre Sicht der Dinge verbreiten, auch subjektiv glauben, dass diese Sichtweise richtig ist. Und das ist in der Regel so. Die Wortführer von Skandalen sind meist zutiefst von der Richtigkeit ihrer Darstellung überzeugt. Zweifel an der Wahrhaftigkeit gehen am Problem vorbei. Zudem könnte man sie nur belegen, wenn man in das Innenleben der Angreifer hineinsehen könnte. Und das kann man zum Glück nicht.

Fairemedien.de: Opfer von Skandalisierungen haben meist schlechte Karten. Sehen Sie bestimmte Typen oder Gruppen von Menschen einer besonderen, vielleicht auch statistisch nachweisbaren Gefährdung ausgesetzt, zum Opfer zu werden?

Hans Mathias Kepplinger: Politiker sind prädestiniert dafür, weil sie generell sehr oft in den Medien sind. Wenn man alle national bedeutsamen politischen Skandale über einen längeren Zeitraum analysiert, erkennt man, dass CDU und CSU-Politiker häufiger skandalisiert werden als SPD-Politiker. Das deutet auf einseitige Angriffe, hängt aber damit zusammen, dass die Unionsparteien länger in der Regierung waren und Regierungspolitiker attraktivere Ziele für Skandalisierer sind, als Oppositionspolitiker. Stärker skandalisierungsgefährdet sind auch bestimmte Wirtschaftszweige, z.B. die Landwirtschaft, die seit Jahrzehnten im Fokus der Kritik der Grünen und ihres Umfeldes steht, oder die Lebensmittelindustrie.

Wir haben auf der Basis von über zweitausend bekannten Mißständen, die in einer Voruntersuchung ermittelt wurden, eine nach gesellschaftlichen Bereichen untergliederte Statistik gemacht und festgestellt, wie viele der bekannten Mißstände von den Medien aufgegriffen und kritisiert wurden. Alles in allem waren es etwa 80 Prozent. An der Spitze standen die Kirchen mit 90 Prozent, gefolgt von der Umwelt mit 86 Prozent, dem Finanzwesen mit 83 Prozent und der Wirtschaft mit 82 Prozent. Völlig aus dem Rahmen fielen die bekannten Missstände im Bereich der Medien. Von ihnen haben die Medien gerade mal 38 Prozent aufgegriffen. Aus der Tatsache, dass die Missstände berichtet und kritisiert wurden, folgt aber nicht, dass sie skandalisiert wurden. Das sollte man klar trennen.

Fairemedien.de: Es ist interessant, dass die Kirchen mit 90 Prozent an der Spitze stehen. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Hans Mathias Kepplinger: Die Haupterklärung ist, dass die Kirche Werthaltungen vertritt, die ein Großteil der Journalisten ablehnt. Das fängt an mit der Vorstellung von Familie, geht weiter mit der Vorstellung vom Leben und Sterben, geht weiter mit der Einschätzung gleichgeschlechtlicher Beziehungen und endet bei den Urteilen über das Zölibat. Das sind Kernthemen. Die Kirche steht für eine Vielzahl von Reizthemen, die von den meisten Journalisten anders gesehen werden. Das betrifft die katholische Kirche mehr als die evangelische, und deshalb steht sie noch mehr im Fokus als jene.

Dahinter steht aber noch ein anderer, viel tiefgreifenderer Prozess. In traditionellen Kulturen werden gesellschaftliche Werte, Normen und Verhaltensweisen geformt durch Forderungen, die an den Einzelnen gestellt werden. dazu gehören die Religionen. Wir leben aber in einer Gesellschaft, in der gesellschaftliche Werte, Normen und Verhaltensweisen bis hin zu Geschmacksfragen nicht durch Forderungen etabliert werden, sondern durch Angebote an die Einzelnen. Wenn viele Einzelne etwas gut finden, dann bilden sich Werthaltungen, Geschmacksrichtungen und Stile heraus. Gesellschaftliche Werte, Norm und Verhaltensweisen entstehen nun als Derivat der Angebote und Verhaltensweisen von Einzelnen. In diesem fundamentalen Wandel der gesellschaftlichen Entwicklung stehen die Kirchen im traditionellen Lager, dem Lager der Fordernden, und die Medien – und übrigens auch die Industrie – im modernen Lager, dem Lager der Anbietenden.

Fairemedien.de: Sehen Sie vor diesem Hintergrund eine besondere Schutzbedürftigkeit der Kirchen und ihrer überzeugten Anhänger gegen mediale Angriffe?

Hans Mathias Kepplinger: Schutzbedürftigkeit ist eine zweischneidige Sache. Auf der einen Seite können einem die Angegriffenen zuweilen leid tun. Es geschieht ihnen auch argumentativ vielfach Unrecht. Nehmen Sie zum Beispiel Bischof Mixa, der in die Debatte um Pädophilie hineingezogen wurde, mit der er nichts zu tun hatte. Auf der anderen Seite ist es glaube ich ganz wichtig, dass diejenigen, die eine bestimmte Haltung vertreten, dies auch mutig nach außen hin tun. Ich habe neulich bei einer Diskussion gesagt, man muss das Kreuz nehmen, man muss bereit sein, für das, was man denkt und für richtig hält, öffentlich einzutreten. Und viele gläubige Christen ziehen sich meines Erachtens zu sehr zurück, und die Kirche hat das auch noch gefördert. Ich habe nach dem 1976er Wahlkampf einige Herren aus der katholischen Kirche beraten und ihnen damals vorgehalten: Als die Studenten der 68er-Generation die Fahnen mediengerecht ausgerollt haben, haben Sie die Fahnen bei den Fronleichnamsprozessionen eingerollt. Das war ein Kardinalfehler.

Fairemedien.de: In diesem Sinne haben auch viele argumentiert, es müsste mehr christliche und konservative Journalisten geben. Warum gibt es so wenige davon und warum stehen Journalisten in überwiegender Mehrheit links und gegen die Kirche?

Hans Mathias Kepplinger: Das ist eine Folge der Selbstselektion. In den Journalismus gehen oft Menschen, die im Alter von 18, 19 Jahren mit der Gesellschaft mit oft guten Gründen unzufrieden sind. Sie werden eben nicht Banker und nicht Priester oder Ingenieure, sondern gehen in eine Umgebung, in der sie ihre Kritik effektiv artikulieren können. Und das ist heute am ehesten der Journalismus. Hinzu kommt: Die Bereitschaft der Alteingesessenen, Neuankömmlinge aufzunehmen, ist dann besonders hoch, wenn die Neuen neben den Qualitätsanforderungen der Alten auch deren Meinungen teilen. Diejenigen die drin sind, ziehen Leute nach, die ähnlich denken wie sie. So entsteht ein sich selbst verstärkender Prozess, der in Deutschland dazu geführt hat, dass deutlich mehr als zwei Drittel der Journalisten Rot-Grün nahestehen mit einem deutlichen Vorsprung der Grünen.

Fairemedien.de: Gibt es eine Art „gläserne Wand“ für christliche oder konservative Journalisten, der ihren Eintritt in die Redaktionen verhindert?

Hans Mathias Kepplinger: Der Prozess ist komplexer und hat sehr viel mit Gruppendruck und Anpassungsbedürfnis zu tun. Die schärfsten Kritiker der Amtskirche sind oft die Leute, die von den Amtskirchen in die Redaktionen entsandt wurden. Warum ist das so? Wenn Sie als gläubiger Katholik in eine Redaktion kommen, die in großer Mehrheit nicht katholisch ist und teilweise den Katholizismus skeptisch beäugt, dann haben Sie einen schweren Stand. Und wenn Sie dann z. B. über einen Katholikentag berichten, können Sie Ihren Kollegen und sich selbst einmal richtig zeigen, wie unabhängig Sie von der Kirche sind. Deshalb berichten diese Leute bei großen öffentlichen Aufritten der Kirche oft besonders kritisch über die Amtskirche, der sie z.T. ihre Position verdanken.

Fairemedien.de: Die Macht der Medien ist doch sehr beachtlich, wenn man sieht, welche Auswirkungen Skandalisierungen wie bei Christian Wulff oder Bischof Tebartz-van Elst auf das Machtgefüge des Landes haben. Die Verlockung, sich dieser Macht zu bedienen, muss bei den politischen Akteuren groß sein. Sehen Sie eine Gefahr der bewussten Instrumentalisierung durch politische Akteure?

Hans Mathias Kepplinger: Ja selbstverständlich, das geschieht auch. Nehmen Sie eine extreme Entscheidung: Warum hat Frau Merkel nach Fukushima kurzfristig auf fragwürdiger Grundlage den Atomausstieg durchgesetzt? Weil sie wusste, dass sie nach der gewaltigen Welle kritischer Berichte über die Kernenergie in den deutschen Medien sehr große Probleme gehabt hätte, die Verlängerung der Laufzeiten zu verteidigen. Zudem hätte sie keine Chance mehr gehabt, mit den Grünen in absehbarer Zeit eine Koalition zu bilden. Diese Probleme hätten sich in England und Frankreich schon deshalb nicht gestellt, weil die dortigen Medien Fukushima als ein Problem der Japaner dargestellt haben, das mit der heimischen Kernenergie nichts zu tun hat.

Fairemedien.de: Wenn das so ist, und wenn es so ist, dass zwei Drittel der Journalisten eine rot-grüne politische Haltung einnimmt, kann man dann nicht sagen, dass das Land über die Medien letztlich immer rot-grün regiert werden wird, egal, welche Partei formal die Mehrheiten hat?

Hans Mathias Kepplinger: Ich würde nicht sagen, dass das Land von den Medien „regiert“ wird. Aber alle langfristigen Studien zeigen, dass sich im Laufe von Monaten und Jahren die dominierenden Meinungen in den Medien durchsetzen. Gelegentlich sind diese Trends ja auch sehr heilsam, ich erinnere nur an die Umweltbewegung in den siebziger Jahren. Gelegentlich sind diese Trends aber auch verhängnisvoll.

Fairemedien.de: Ist jemand wie Sie, der den – ich nenne es mal – medial-politischen Komplex permanent in der Öffentlichkeit analysiert und kritisiert, nicht einer besonderen Gefährdung ausgesetzt, selbst zum Opfer einer Skandalisierung zu werden?

Hans Mathias Kepplinger: Ich war 1979/80 Gegenstand einer solchen Kampagne. Anlass war meine Studie zur bildlichen Darstellung des Bundestagswahlkampfs 1976 im Fernsehen. Nach unseren Daten wurden die Politiker der Unionsparteien und besonders Helmut Kohl viel häufiger als Politiker der SPD und FDP in Zusammenhang mit ablehnendem und gelangweiltem Publikum dargestellt. Zudem wurde vor allem Kohl häufig aus der ungünstigen Frosch- und aus der noch ungünstigeren Vogelperspektive gezeigt. Letzteres war bei seiner Größe schon ein Kunststück. Die Studie hat weit über hundert, meist extrem negative Artikel hervorgerufen und weit über eine Stunde Fernsehberichterstattung ausgelöst. Ich war über Monate im Grunde ein Gehetzter. Einige Zeit darauf wurde die Studie in ein amerikanisches Jahrbuch aufgenommen, das die besonders beachtenswerten Untersuchungen versammelt. So etwas ist im Rückblick erfreulich, hilft aber aktuell nichts.

Fairemedien.de: Was hilft denn in der akuten Situation der Skandalisierung?

Hans Mathias Kepplinger: Man muss in einer solchen Situation prüfen, ob es einflussreiche Journalisten und Medien gibt, die die eigene Sichtweise teilen. Wenn es sie gibt, dann ist es sinnvoll, die eigene Haltung offensiv zu vertreten. Wenn es die nicht gibt, ist das sinnlos. Man hat keine Chance. Dann ist das Beste, auf Tauchstation zu gehen. Mir kam damals zu Hilfe, dass ich einen seit längerem geplanten Forschungsaufenthalt an der University of Berkeley antreten und verschwinden konnte.

Das Interview führte Christoph Kramer.


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