Im Leserbrief an die Süddeutsche Zeitung kritisiert Pfarrer Stefan Scheuerl die Brutalität die bewusst emotionalisierende Art der Berichterstattung zu Markus Hollemann. FaireMedien.de dokumentiert das Schreiben im Wortlaut.
Leserbrief von Pfarrer Stefan Scheuerl
An die Redaktionsleitung und die Redakteure D. Hutter und J. Kelnberger persönlich
Sehr geehrter Herr Hutter, sehr geehrter Herr Kelnberger, sehr geehrte Damen und Herren der Redaktionsleitung
Ich bin wirklich erschüttert über Ihre Darstellung des Falls Markus Hollemann vom 27.1. in der SZ. Ich kenne Herrn Hollemann überhaupt nicht und kann ihn deshalb weder verurteilen noch verteidigen. Ich weiß, dass Journalismus ein harter Job ist. Ein Teil des Geschäfts ist eben auch, dass man austeilt. Aber so? Der Mann ist fertig. Und nicht nur der.
Als Evangelischer Pfarrer bin ich seit Jahren Mitglied im Alfa-Regionalverband Memmingen. Wir sind wirklich alles andere als rechtsradikal. Wir sind auch nicht anti-feministisch. Im Gegenteil. Sowohl in unserem Regionalvorstand, als auch auf Bundesebene haben berufstätige Frauen die Leitung. Auch wenn wir uns nicht über das Wahlverhalten austauschen, bin ich überzeugt, dass in der Gruppe der aktiven Mitglieder keiner eine rechtsradikale Partei wählt. Ich bin selbst Gründungsmitglied eines Vereins, der sich um Asylanten kümmert und kämpfe für die Akzeptanz von Menschen mit anderer Hautfarbe oder anderem kulturellen oder religiösen Hintergrund. Ich hasse rechtsradikales Geschrei. Und jetzt gelte ich plötzlich als Pfarrer mit gefährlich rechten Tendenzen.
Es ist sehr einfach und sehr brutal, einen Politiker oder eine ganze Bewegung völlig zu demontieren, bloß weil sie eine andere Position vertreten als die, die man gerne hört.
Uns geht es nicht um das Frauenbild oder die Einstellung zur Homosexualität sondern um etwas ganz anderes. Dazu eine Erfahrung.
Als ich das erste Mal das Plastikmodell eines Embryos in der 11. Woche in der Hand hatte, gingen mir die Augen auf. Das ist ja ein kompletter kleiner Mensch! So fing ich an, nachzudenken und mir wurde allmählich klar: So ein Mensch braucht das Recht aller Rechte: Das Recht auf Leben. Diese Erfahrung steckt mir bis heute in den Knochen.
Noch eine zweite Erfahrung steckt mir in den Knochen. Ich habe als Seelsorger gelegentlich mit Frauen und auch Männern zu tun gehabt, die eine Abtreibung hinter sich haben. Viele leiden stark, viele mehr, als man denkt, auch manche Männer. Es ist gar nicht leicht, aus dieser Spirale von Schmerz, unterdrückter Trauer und Schuldgefühlen wieder herauszufinden. Doch es ist möglich.
Wenn Sie sich die Mühe machen, mit Leuten von uns in ein echtes Gespräch zu treten, werden sie entdecken, dass es noch eine ganz andere Seite der Wirklichkeit gibt. Nur wenige von uns passen in die Schublade, in die Sie uns stecken.
weiter:
Die ganze Art der Darstellung und die Recherche soll vordergründig informieren, in Wirklichkeit aber emotionalisieren.
Sie zitieren Marcus Buschmüller von der Münchner Fachinformationsstelle Rechtsextremismus. Der Name der Einrichtung suggeriert, dass es sich hier um eine Behörde oder Beratungsstelle der Stadt handelt. Ein Blick auf die Webseite offenbart, dass dem nicht so ist. Damit wird einem Vorurteil „Grenzen zu christlichem Fundamentalismus und rechtsgerichtetem Antifeminismus seien fließend“ ein seriöser Anstrich gegeben. Am Schluss des Artikels reden Sie von „verbrannter Erde“ im Heimatort von Herrn Buschmüller und zitieren dazu ausschließlich die Chefin der Grünen-Fraktion, als stehe die für alle. Vermutlich war das ein halbstündiges Telefoninterview. Haben Sie auch andere Leute gefragt? Sind Sie hingefahren?
Nun habe ich nicht vor, mit gleicher Münze heimzuzahlen.
Aber falls Sie echtes Interesse haben, die andere Seite der Wirklichkeit kennenzulernen, bin ich gerne für ein Gespräch bereit.
Viele Grüße,
Ihr Pfarrer Stefan Scheuerl