Fachlich ist er für das Amt qualifiziert, deshalb hatte die CSU ihn vorgeschlagen. Doch dann wurde bekannt, dass er sich gegen Abtreibung und Sterbehilfe einsetzt. Prompt zog die CSU den Vorschlag zurück. Der Fall zeigt die Schwächen der Antidiskriminierungspolitik, findet der Journalist Klaus Kelle.
Kaum etwas wird in Deutschland so ernst genommen, wie der Kampf gegen Diskriminierung. Niemand soll wegen seiner Überzeugungen, wegen seines Glaubens, Geschlechtes, seiner Herkunft oder sexueller Orientierung benachteiligt werden. Das ist schon im Grundgesetz festgeschrieben, und seit August 2006 gibt es sogar ein Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz. Natürlich hat der Bund auch eine Anti-Diskriminierungsstelle. Doch ein aktueller Vorgang aus München zeigt, wie erfolglos das letztlich alles ist.
Markus Hollemann (42) ist Bürgermeister im badischen Denzlingen und gehört der kleinen Ökologisch Demokratischen Partei (ÖDP) an. In München wurde er nun vom CSU-Bürgermeister Josef Schmid als Nachfolger des Grünen Joachim Lorenz im Amt des Umwelt- und Gesundheitsreferenten der bayerischen Metropole vorgeschlagen. Doch dann fiel jemandem auf, dass Hollemann überzeugter Christ ist, gar in der Organisation „Aktion Lebensrecht für Alle“ (ALfA).
Hollemann engagiert sich gegen Abtreibung
Dort haben sich – gemäß Selbstvorstellung auf der Homepage – „unabhängig von politischer oder religiöser Anschauung – Leute zusammengeschlossen, die für das uneingeschränkte Lebensrecht jedes Menschen, ob geboren, ungeboren, behindert, krank oder alt, eintreten.“ Kurz: die ALfA kämpft gegen Abtreibung und Sterbehilfe – politisch, mit Infoständen, Unterschriftensammlungen, Kampagnen, und das immer friedlich.
Im Video: So denken die Deutschen über Sterbehilfe
Es gibt eine Hotline für Frauen in Notsituationen, bei der sie konkrete Hilfe abrufen können. Mal wird jungen Müttern geholfen, die Erstausstattung für ihr Kind zu finanzieren, bisweilen gibt es Mietzuschüsse und Unterstützung bei Behördengängen. Markus Hollemann ist förderndes Mitglied in diesem Verein.
Darf ein Abtreibungsgegner in Deutschland kein öffentliches Amt mehr übernehmen? Es fällt schon schwer nachzuvollziehen, warum die CSU „ihren“ Kandidaten direkt nach Bekanntwerden seiner Haltung fallen ließ, wie eine heiße Kartoffel. Das kritisierte auch der CDU-Bundestagsabgeordnete und frühere Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Hubert Hüppe.
Er vertritt die Position der katholischen Kirche
Er war selbst lange Jahre Mitglied der ALfA und sagte in einem Interview: „Die ALfA ist eine überkonfessionelle Lebensrechtsorganisation, die in der Frage der Abtreibung eine Position vertritt, die mit der offiziellen Position der katholischen Kirche übereinstimmt. Wenn man diese in Deutschland nicht mehr vertreten darf, dann sind wir auf dem Weg in eine Meinungsdiktatur“. Starke Worte, und unwillkürlich denkt man an einen ähnlichen Vorgang auf EU-Ebene.
Die italienische Regierung nominierte im August 2004 den Christdemokraten Rocco Buttiglione als EU-Kommissar für Justiz, Freiheit und Sicherheit, auch zuständig für den Schutz von Minderheiten. In einer Anhörung des Bürgerrechtsausschusses des Parlaments bekannte sich Buttiglione zu seinen katholischen Grundüberzeugungen, wonach etwa Homosexualität eine „Sünde“ sei. Gleichzeitig erklärte er, dass er sein Amt ideologiefrei auszuüben gedenke. Doch das reichte nicht. Das Bekenntnis des Italieners zur offiziellen Lehre seiner Kirche reichte aus, die Kandidatur platzen zu lassen.
In Deutschland gerät etwas in Schieflage
Ist Homosexualität „Sünde“? Wohl die meisten Menschen halten solche Ansichten für überholten Quatsch. Aber die Frage ist: Darf man so denken? Wer entscheidet überhaupt, was man denken darf? Wieso darf eine Bundestagsabgeordnete mit einem Halstuch herumlaufen, auf dem der Nahe Osten ohne den Staat Israel abgebildet ist, aber ein Abtreibungsgegner nicht Umweltreferent in München werden?
Wieso legen Grundgesetz und Antidiskriminierungsgesetz fest, niemand dürfe wegen seines Geschlechtes benachteiligt werden, und gleichzeitig sind fast alle sogenannten Gleichstellungsbeauftragten in Deutschland Frauen? Männer kommen in der Regel nicht auf solche Positionen im Öffentlichen Dienst – einfach weil sie Männer sind. Und es stört offenbar niemanden sonderlich.
In Deutschland gerät etwas in Schieflage, wenn ein Mann wie Markus Hollemann trotz unbestrittener beruflicher Qualifikation nicht Umweltreferent werden darf, weil er Abtreibungsgegner ist. Aber vielleicht bekommt er ja nun Unterstützung von der Anti-Diskriminierungsstelle des Bundes.
Der Artikel erschien zuerst auf focus.de