„Wenn ich zuverlässige Informationen suche, nutze ich britische Medien“

Prof. Wolfgang Stock ist profilierter Medienexperte mit jahrzehntelanger praktischer Berufserfahrung. Im FaireMedien-Experteninterview äußert er sich zur Entwicklung ethischer Standards in der deutschen Medienlandschaft und zu seiner jüngsten Programmbeschwerde beim NDR.

FaireMedien: Prof. Stock, Sie haben eine Programmbeschwerde beim Norddeutschen Rundfunk wegen zweier Berichte eingereicht, in denen Teilnehmer des Kongresses christlicher Führungskräfte als „radikal“ bezeichnet werden. Was genau haben Sie da zu beanstanden und wie begründen Sie die Beschwerde?

Wolfgang Stock: Es geht um einen TV-Beitrag und um einen sehr ähnlichen Beitrag im Online-Angebot von NDR und Tagesschau.de. Diese beiden Beiträge verstoßen in mehrfacher Weise gegen die Programmgrundsätze des NDR, wie sie im NDR-Staatsvertrag[1] festgelegt sind, vor allem gegen das Diktum, dass die Berichterstattung dieses öffentlich-rechtlichen Senders einen „objektiven Überblick“ über das Geschehen geben muss (§ 5 des Staatsvertrages). Das tun diese beiden Berichte ganz sicher nicht. Außerdem kritisiere ich die Verletzung journalistisch-ethischer Grundsätze, welche nach § 8 Abs. 2 Satz 1 des Staatsvertrags Grundlage aller Arbeit beim NDR sein müssen. Insbesondere muss der NDR „in seiner Berichterstattung die Auffassungen der wesentlich betroffenen Personen, Gruppen oder Stellen angemessen und fair (berücksichtigen).“ Das fehlt schon einmal. Weiter heißt es aber auch: „Wertende und analysierende Einzelbeiträge haben dem Gebot journalistischer Fairness und in ihrer Gesamtheit der Vielfalt der Meinungen zu entsprechen“ (§ 8 Abs. 1 Satz 3 des Staatsvertrags). Und konkret: „Berichterstattung und Informationssendungen … müssen … sachlich sein… Kommentare sind deutlich von Nachrichten zu trennen und … als solche zu kennzeichnen“ (§ 8 Abs. 2 Satz 4). Ganz klar wird in den beiden Beiträgen gegen diese Pflicht jedes Journalisten, aber eben auch derer des NDR, verstoßen, Kommentar/Meinung und Nachricht klar zu trennen. Denn was der NDR veröffentlicht hat, schon an der Überschrift erkennbar, ist ein Kommentar. Der hätte aber als solcher gekennzeichnet werden müssen – jeder kennt das aus der Tagesschau: „Den folgenden Kommentar spricht…“.

FaireMedien: Der Hauptautor der Beiträge ist der Journalist Christian Baars. Was treibt den Mann, solche Beiträge zu verfassen?

Wolfgang Stock: Das ist mir, ehrlich gesagt, ganz egal. Und ich sage auch: Auch wenn ich seine Meinung über den Kongress völlig abwegig finde, er hat das Recht, diese Meinung zu haben und zu publizieren! Aber als Meinung, als Kommentar. Was gar nicht geht, ist, dass er via NDR seine persönliche Meinung als Wirklichkeit verkauft. Denn das ist Manipulation – weil der NDR nur diesen kleinen Ausschnitt gesendet und andere Meinungen gar nicht erst zugelassen hat.

FaireMedien: Warum bietet der NDR, eine öffentlich-rechtliche Anstalt, solch einseitigen Beiträgen ein Forum? Haben da Kontrollmechanismen versagt?

Wolfgang Stock: Ganz eindeutig: Ja! Und deshalb ist es gut, dass es für jeden Zuschauer/Webnutzer die Möglichkeit gibt, den Intendanten mit einer Programmbeschwerde auf Fehler in dem Sender hinzuweisen.

FaireMedien: Was genau ist eine Programmbeschwerde und was erhoffen Sie sich davon? Gibt es denn begründete Aussicht auf Erfolg?

Wolfgang Stock: Es ist eine Form der Eingabe, beim NDR in § 13 des NDR-Staatsvertrages beschrieben, wenn auch dort nur sehr knapp. Beim WDR z.B. und beim ZDF ist es deutlich klarer. Beim WDR in § 10 WDR-Gesetz, beim ZDF in dessen „Satzung“ in § 21 definiert: Programmbeschwerden werden dort sogar seit kurzem (auch das auf Grund einer Programmbeschwerde!) genau auf der Webseite beschrieben.
Ob man damit Aussicht auf Erfolg hat? Das hängt von der Definition von „Erfolg“ ab. Sicherlich nicht wie auf dem Jahrmarkt an der Schießbude oder im Boxring mit KO-Sieg. Aber jede – vernünftig begründete! – Programmbeschwerde führt im Sender zu einer intensiven internen Diskussion über den Sendebeitrag, die Strukturen und die Einhaltung der geltenden Regeln. Das ist schon mal ein Erfolg, wenn es einem um die Sache geht – gute öffentlich-rechtliche Sendungen. Formal wird man in den Antworten der Intendanten oft abgewimmelt, aber dann kann man sich an den Rundfunkrat wenden und es dort nochmals thematisieren.
Beim WDR galt es jahrelang als völlig unmöglich, mit einer Programmbeschwerde etwas zu erreichen – aber selbst dort ist es mir 2010 gelungen, mit einer Beschwerde in der 2. Instanz die Aufmerksamkeit der neuen Vorsitzenden des Aufsichtsrats, Ruth Hieronymi, zu finden – mit dem Ergebnis, dass die Konzernrevision eingeschaltet und schließlich offiziell festgestellt wurde, dass ein Film das Gebot der journalistischen Fairness durch eine sehr vereinfachte und einseitige Darstellung verletze. Meiner Programmbeschwerde wurde offiziell stattgegeben – zum ersten Mal seit vielen Jahren. Viel wichtiger aber war, dass daraufhin im WDR die internen „Grundsätze für die investigative Berichterstattung“ für alle Programmgruppen überarbeitet wurde. Dem Verantwortlichen für die Sendung wurde übrigens damals gekündigt (Info bei Wikipedia darüber hier).

FaireMedien: In der letzten Zeit häufen sich unfaire Beiträge gegen überzeugte Christen in vielen, privaten wie öffentlichen, Rundfunk- wie Printmedien. Welche Ursachen sehen Sie dafür?

Wolfgang Stock: Das ist, wenn wir ehrlich sind, schwer zu messen und noch schwerer zu bewerten. Leider ist es so, dass in den letzten Jahren die Qualität der Medien generell schlechter geworden ist – der Kampf um Quoten und Auflagen hat zu einer verheerenden Boulevardisierung geführt. Leider auch bei den öffentlich-rechtlichem Anstalten – obwohl die ja ein Fels der Qualität in der Brandung sein müssten – und auf Grund ihrer stabilen Finanzierung auch sein könnten.

FaireMedien: Sie sind schon lange im Mediengeschäft aktiv. Wie sehen Sie die globale Entwicklung ethischer Standards in diesem Geschäft?

Wolfgang Stock: Die aktuelle Debatte um die Sensationsberichterstattung nach dem Absturz des Germanwings-Flugzeuges hat gezeigt, wie umstritten die Medienberichterstattung heute ist. Meinung und Emotionen beherrschen Zeitungsseiten und Sendezeiten – die „Nachricht“ als Versuch einer objektiven Darstellung des Ereignisses unter Berücksichtigung aller relevanten Akteure gibt es kaum noch. Wenn ich ehrlich sein darf: Wenn ich zuverlässige Informationen suche, nutze ich britische Medien. Dort gibt es noch einige – natürlich nicht die „Sun“ – die meiner Meinung nach auf hohem Standard publizieren.

FaireMedien: Vielen Dank für die Beantwortung der Fragen!

Das Interview führte Christoph Kramer.

[1] NDR- Staatsvertrag vom 17./18. Dezember 1991, zuletzt geändert mit dem Staatsvertrag zur Änderung des Staatsvertrages über den Norddeutschen Rundfunk (NDR) vom 1./2. Mai 2005, in Kraft getreten am 1. August 2005.


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